Science- Was ist das UTS? (2, Körperliche Stigmata)
- Annelie Neubauer
- 18. Okt. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Beginnen werde ich diesen Beitrag mit der wichtigen Bemerkung, dass eventuell vorhandene äußerliche Merkmale des UTS in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht auf den ersten Blick offensichtlich sind. Manche Personen mit dem UTS zeigen so gut wie keine Stigmata, andere Stigmata, die nur von einem Experten als solche erkannt werden können.
Viele mögliche äußerliche Merkmale sind der Tatsache geschuldet, dass das Lymphsystem oft erst verspätet anfängt zu arbeiten, und sich somit Flüssigkeit gerade im Nackenbereich ansammeln kann (cystic hygroma). Manchmal bleibt davon nach der Geburt ein Pterygium colli oder "webbed neck" zurück, ein Flügelfell. Dieses ist natürlich relativ auffällig, und kann unter Umständen später operiert werden (manchmal wird das als kosmetische Operation betrachtet, manchmal schränkt das Flügelfell auch die Beweglichkeit des Halses deutlich ein). Bei einigen Betroffenen sieht man Ptosis oder hängende Augenlider, mehr oder weniger auffällig. Das sind die beiden augenfälligeren Merkmale, die viele Menschen mit dem UTS assoziieren- in der Realität liegen sie jedoch nur in etwa 10% der Fälle vor.
Es gibt also definitiv einige noch häufigere körperliche Anzeichen des UTS. Zunächst einmal gehen mit einer SHOX- Haploinsuffizienz oft bestimmte Skelettmerkmale einher. Diese wären in erster Linie ein Cubitus Valgus, was bedeutet, dass der Arm am Ellenbogen mehr als üblich nach außen abgespreizt ist, wenn man den Arm gerade an seiner Seite hält, Handfläche nach vorne, sowie ein kurzer Metacarpale IV, also vierter Mittelhandknochen. Wenn man die Hand zu einer Faust ballt und die Fingerknöchel betrachtet, bilden diese nicht die erwartete Linie, sondern der Mittelhandknochen am Ringfinger ist eindeutig etwas kürzer, im Röntgenbild spricht man von einem positiven Metacarpalenzeichen. Dieses findet sich jedoch relativ oft auch bei Menschen, die nicht von irgendeinem Syndrom betroffen sind. Beide beschriebenen Auffälligkeiten sind im Allgemeinen kosmetische Probleme, außerdem keine, die wirklich auffallen würden. In selteneren Fällen sieht man die Madelung- Deformität, bei welcher die Beweglichkeit des Handgelenks oft deutlich eingeschränkt ist, wobei eine Operation hilft. Eine Skoliose kann vorkommen, und natürlich, in der Mehrheit der Fälle, eine geringere Körpergröße.
Des Weiteren häufig zu beobachten ist ein tiefer, "seltsam geformter" Haaransatz im Nacken, ein weiteres Überbleibsel von sich sammelnder Flüssigkeit. Tiefer sitzende Ohren, ein flacheres Gesicht, ein Schildthorax, ein relativ kurzer, breiter Hals. Viele von uns haben außerdem etwas mehr gutartige Leberflecken, Naevi, die im Allgemeinen nicht zu einem höheren Hautkrebsrisiko führen. Und wohl sich nach oben biegende Fingernägel und Zehnägel (hypoplastic nails), diesen Punkt habe ich nie so ganz verstanden.
Vielleicht das wichtigste sichtbare Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte, sind übrigens Lymphödeme, also Schwellungen, an Hand und Fußrücken(die nicht schmerzhaft sind, und höchstens in bestimmten Fällen das Tragen von Schuhen erschweren). Bei Neugeborenen mit dem UTS sind diese extrem häufig, mit der Zeit bilden sie sich im Allgemeinen zurück und treten im Erwachsenenalter eher selten auf.
Nun kennen Sie also einige mögliche äußerliche Merkmale des UTS. Nützlich ist das sicherlich, um etwa zu entscheiden, ob ein Karyotyp bestimmt werden sollte, da ein Anfangsverdacht vorliegt (im Zweifelsfall den Bluttest machen lassen). Jedoch haben viele von uns auch unschöne Momente erlebt, in denen jeder Quadratzentimeter des Körpers von Ärzten ausgemessen wird, man von allen Seiten kritisch begutachtet wird. Natürlich weiß man nicht ganz genau, wonach die Ärzte denn gerade suchen- aber man fühlt sich dabei etwas wie ein Ausstellungsstück. Vielleicht hasst man danach bestimmte körperliche Merkmale an sich selbst noch deutlich mehr als vorher, denn sie werden zu Zeichen dafür, dass man "nicht normal ist". In jedem Fall sollte man solche Dinge bedenken und etwas Empathie aufbringen, wenn man von körperlichen Stigmata des UTS spricht. Außerdem sollte und darf man niemals körperliche Stigmata und gesundheitliche Risiken in einen Topf werfen, denn für medizinische Laien hören sich alle lateinischen Fachbegriffe tendenziell gleich gefährlich an. Und immer daran denken: Das UTS ist keine Blickdiagnose.
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