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Science- Was ist das UTS? (1, Gesundheitliche Risiken)

Aktualisiert: 21. Okt. 2021

Das Ullrich Turner Syndrom (UTS) ist eine genetische Variation, bei der eines der beiden Geschlechtschromosomen (Gonosomen) vollkommen oder teilweise fehlt. Dem zugrunde liegt oft ein spontaner Fehler, eine "de novo Mutation", bei der Meiose, also dem Prozess, in dem aus einer Körperzelle durch Teilung Eizellen bzw. Spermien entstehen. Von wenigen speziellen Ausnahmen abgesehen, wird das UTS nicht vererbt, tritt also auch nicht gehäuft in Familien auf. Eine Assoziation mit einem höheren Alter der Mutter bei der Geburt ist nicht bekannt, keinesfalls haben die Eltern eines Mädchens mit UTS während der Schwangerschaft etwas "falsch gemacht", oder hätten das UTS auf irgendeine Weise "verhindern können". Eines von 2.500 lebend geborenen Mädchen ist vom UTS betroffen, eine von 400 Zygoten (befruchteten Eizellen). Damit ist das UTS alles andere als selten, obwohl es bei lebend geborenen Menschen gerade noch so als "seltene Krankheit" durchgeht.


Die meisten Menschen besitzen 46 Chromosomen, davon 44 Autosomen oder Körperchromosomen, und 2 Gonosomen oder Geschlechtschromosomen. In den meisten Fällen ist der Karyotyp 46XX weiblich, der Karyotyp 46XY männlich. Menschen mit dem UTS dagegen weisen in etwa der Hälfte der Fälle nur ein X- Chromosom in allen getesteten Zellen auf, der Karyotyp ist dann 45X0, was auch als "Classic TS" bezeichnet wird. Verschiedene andere Variationen des UTS sind möglich, beispielsweise partielle Deletionen am zweiten Geschlechtschromosom. Sprich, ein Teil des zweiten X- oder Y- Chromosoms fehlt, hier spricht man auch von "Variant TS". Als zweites Geschlechtschromosom kann auch ein auf verschiedene Weise strukturell verändertes X- Chromosom vorliegen, etwa ein Isochromosom X, bei dem der lange Arm des X- Chromosoms kopiert und doppelt vorhanden ist, der kurze Arm jedoch fehlt. oder ein sogenanntes Ringchromosom X. Das Ringchromosom X liegt jedoch nie in allen Zellen eines Menschen vor, und auch sonst sind sogenannte Mosaikformen des UTS häufig. Verschiedene Zelllinien, meist zwei oder drei, liegen dabei nebeneinander vor. Eine davon ist hier 45X0, das Isochromosom X 46XX(i), das Ringchromosom X 46XX(r). Oder auch 46XX(del), das X- Chromosom mit der partiellen Deletion, wobei normalerweise dahinter die "Höhe" mit angegeben wird, ab der ein Abschnitt des zweiten X- Chromosoms fehlt. Die andere Zelllinie ist beispielsweise 46XX, 46XY, oder "Triple X" also 47XXX. Beliebige Kombinationen all dieser Karyotypen sind möglich. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle sind vom UTS betroffene Personen eindeutig weiblich, in ihrem Äußeren und ihrer Geschlechtsidentität, auch solche mit einem 45X0/46XY Mosaik. Bei diesem Karyotyp existieren jedoch vereinzelt Ausnahmen von der Regel, die von einem typisch männlichen Phänotyp bis hin zu "atypischen Genitalien" reichen, ab und an hört man hierfür den Begriff "atypisches UTS". (Nicht zu verwechseln mit dem "Noonan Syndrom" oder "Pseudo Turner Syndrom", das sich in vielerlei Hinsicht doch deutlicher vom UTS unterscheidet, und Männer und Frauen gleichermaßen betrifft). Prozentangaben oder Behauptungen, bestimmte Karyotypen des UTS hätten "schwerere Auswirkungen" als andere, sind dabei übrigens generell mit Vorsicht zu genießen. Im Allgemeinen ist die Bandbreite, in der verschiedene Personen Auswirkungen des UTS erleben können, so groß, dass kleinere Unterschiede zwischen verschiedenen Karyotypen für Betroffene fast irrelevant sind. Bestimmte Ausnahmen bestätigen auch in diesem Fall die Regel, dazu anderswo mehr.


Was sind aber nun mögliche Auswirkungen des UTS? Die häufigsten Probleme sind eine unterdurchschnittliche Körpergröße, im Mittel 1,46m ohne Wachstumshormontherapie, mit WH 5-10 cm mehr. Man kann also durchaus trotzt UTS eine Körpergröße erreichen, mit der man nicht allzu sehr aus der Norm fällt. Dabei schlägt die Therapie mit Somatropin, das nur in Form von Spritzen (subkutanen Injektionen) verabreicht werden kann, bei Betroffenen sehr unterschiedlich gut an, wird nach einer individuellen Abwägung oft schon sehr früh begonnen, und fortgeführt, bis die Wachstumsfugen geschlossen sind. Außerdem sehr häufig sind viele Mittelohrentzündungen während der Kindheit, später dann ein gewisser Grad an Hörminderung, der auch, aber nicht ausschließlich auf die Mittelohrentzündungen zurückzuführen ist. Außerdem wäre da das Problem mit der Unfruchtbarkeit. Im Endeffekt geht ein großer Teil der Frauen mit UTS schon vor der Geburt durch die Menopause. Die Eierstöcke waren zwar angelegt, aber bei der Geburt sind nur noch sogenannte Stranggonaden oder streak gonads übrig, also nicht funktionsfähige Eierstockreste. Klassischerweise sieht man, wenn bei einer Frau die Eierstöcke nicht funktionieren, eine "Adrenarche ohne Pubarche". Die Scharmbehaarung entwickelt sich also, durch die normal vorhandenen Androgene aus der Nebennierenrinde, die Brustentwicklung, für die Östrogene aus den Eierstöcken notwendig wären, bleibt jedoch aus. Eine spontane Pubertät mit Menarche ist allerdings selbst bei der vollen Monosomie X häufiger als man denkt, mit etwa 11 Prozent der Fälle, auch, wenn eine Mehrheit von diesen Betroffenen letztendlich ebenfalls bald darauf eine verfrühte Menopause (prämature Ovarialinsuffizienz, im Gegensatz zur primären Ovarialinsuffizienz) erlebt. Spontane Schwangerschaften sind selten, und kommen meist, aber nicht ausschließlich, bei Frauen mit einer Mosaikform des UTS vor, auch für andere Frauen mit UTS gibt es unter Umständen verschiedene Möglichkeiten, eine Schwangerschaft zumindest auszutragen. Falls die Eierstöcke keine Hormone produzieren, werden Östrogene und Gestagene mit einer HRT "hormone replacement therapy" ersetzt, Gestagene oral, für Östrogene gibt es verschiedene mögliche Verabreichungsformen. Damit kommt es zu einer "normalen" körperlichen Entwicklung, und im Allgemeinen auch zu einer Regelblutung. Die HRT ist (körperlich) keine große Sache, und definitiv weniger risikoreich als eine hormonelle Verhütung für andere Frauen.


Auch angeborene Herzfehler gehen relativ oft mit dem UTS einher. Die oft zitierte Zahl von bis zu 50% der Mädchen, die mit einer Form der congenital heart disease (CHD) ist jedoch missverständlich, insofern, dass diese Herzfehler nicht immer schwerere Symptome oder Operationen nach sich ziehen müssen. Die häufigste Problematik ist eine bikuspide Aortenklappe, die Aortenklappe hat hierbei nur zwei statt im Normalfall drei Taschen. Häufig schließt sie dennoch wie sie soll, und macht, falls überhaupt, nur im höheren Alter Probleme, ein zusätzlicher Risikofaktor für eine Aortendissektion ist sie jedoch. Außerdem kann bei Personen mit dem UTS eine Aortenisthmusstenose, also eine Verengung des Aortenbogens vorliegen, dies kommt in etwa 7% der Fälle vor, und kann leichte bis schwerere Probleme verursachen. Das hypoplastische Linksherzsyndrom, bei dem sich die komplette linke Seite des Herzens nicht gut entwickelt, ist extrem selten (und weist im gerade im Zusammenhang mit dem UTS keine gute Prognose auf). Allerdings ist es nicht selten, dass ein Mädchen mit dem HLHS auch das UTS hat, denn dieses kommt im Allgemeinen deutlich häufiger bei Jungen vor. Auch die Aortendissektion ist deutlich seltener als man denkt. Dabei entsteht ein Riss in der inneren Schicht der Gefäßwand der Hauptschlagader, der sich dann mit Blut füllt (wobei die Aorta sich erweitert, es also zu einer Aortendilatation kommt). Irgendwann kann die Aorta dann einreißen, was einer Aortendissektion entspricht und ein medizinischer Notfall ist. Zwar ist unser Lebenszeitrisiko dafür deutlich erhöht, doch es liegt trotzdem "nur" bei 2%. Ohne bikuspide Aortenklappe, mit Blutdruckkontrolle, mit regelmäßigen Kontrollen des Herzens sinkt es nochmal deutlich. Es ist nämlich nicht so, dass die Aorta heute in einem Herzecho oder Kardio MRT vollkommen normal aussieht, und morgen kommt es zu einer Dissektion- wenn man eine Aortendilatation rechtzeitig feststellt, lässt sich eine Aortendissektion im Allgemeinen verhindern.


Man spricht manchmal von einer um 10 Jahre verkürzten Lebenserwartung für uns mit dem UTS. Das bedeutet jedoch keinesfalls für jeden Einzelnen von uns, dass wir vermutlich früher sterben werden, als jemand anderes. Eine gewisse Zahl von frühen Todesfällen geht leider auf das Konto von angeborenen Herzfehlern. Die gefährlichsten Problematiken sind jedoch auch für uns die oft unterschätzten Zivilisationskrankheiten- Übergewicht, hohe Cholesterinspiegel, Typ 2 Diabetes, Bluthochdruck, Fettleber und schließlich Arteriosklerose, Herzinfarkte, Schlaganfälle. Übergewicht hängt wohl weniger mit dem UTS an sich zusammen, und eher mit einer geringeren Körpergröße, sowie einer eventuellen Schilddrüsenunterfunktion, alle anderen Probleme aus dieser Liste sind bei uns jedoch auch ohne Übergewicht häufiger. Die gute Nachricht ist dabei: man kann etwas dagegen tun, mit Hilfe der oft gepredigten Veränderungen des Lebensstils.


Bestimmte Autoimmunerkrankungen- Hashimoto Thyroiditis, Zölliakie, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Rheuma- sind bei jemandem mit dem UTS etwas häufiger, jedoch behandelbar. Skoliose, Osteoporose und Weitsichtigkeit kommen häufiger vor.


Niere und Harntrakt werden bei Diagnosestellung einmal untersucht, denn die möglichen Problematiken hier sind angeboren. Eine Hufeisenniere kommt in etwa 10% der Fälle vor, dabei sind beide Nieren zusammengewachsen, die Hufeisenniere funktioniert jedoch im Allgemeinen problemlos. Bestimmte Fehlbildungen des Harntraktes können eine Operation nach sich ziehen.


Ganz vollständig ist diese Liste vermutlich nicht, selbst, wenn man sich lange über das UTS informiert hat, wird man immer wieder überrascht von Dingen, die bei jemandem mit dem UTS tatsächlich häufiger auftreten, obwohl man das nie erwartet hätte (bestimmte ungewöhnliche Formen des Uterus etwa, oder eine bestimmte Art der Epilepsie). Die gute Nachricht ist jedoch, dass man sich um die meisten dieser Problematiken keinen Kopf machen muss. Sie sind vielleicht minimal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung (oder seltener- Brustkrebs kommt bei jemandem mit dem UTS etwa mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit vor)- von den tatsächlich relevanten gesundheitlichen Risiken hat man irgendwann schonmal etwas mitbekommen, darauf kann man sich eigentlich verlassen. Niemand hat jemals alle Probleme, die mit dem UTS zusammenhängen können, auf einmal, die meisten möglichen Komplikationen sind entweder selten, oder gut behandelbar, oder beides. Nicht jede mit dem UTS verbringt viel Zeit in Krankenhäusern, falls man keine weiteren Probleme hat ist die Zahl der empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wie gesagt recht überschaubar.


Bis zu 15% der spontanen Aborte, die sich im Allgemeinen sehr früh in der Schwangerschaft ereignen, könnten auf das UTS zurückzuführen sein. Nur 1%- 2% der Zygoten mit UTS überleben bis zur Geburt. Diejenigen, die überleben, führen jedoch meist ein gesundes, sehr "normales" Leben. Mit einigen gesundheitlichen Risiken, mit einigen Arztterminen, jedoch lange nicht so vielen, wie man vielleicht vermuten würde.

Das Leben mit nur einem X- Chromosom ist ohne Frage in jeder Hinsicht lebenswert.

 
 
 

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